Vom Reisen der Utopier.

[89] Im Falle, daß Jemand einen in einer andern Stadt wohnhaften Freund zu besuchen wünscht, oder es ihn verlangt, einen andern Ort zu sehen, kann er von seinen Syphogranten und Traniboren leicht die Erlaubniß dazu erhalten, wofern man seiner nicht zu einer Arbeit bedarf. Er wird mit einer Anzahl Anderer, die zu reisen wünschen, fortgeschickt, mit einem Briefe des Fürsten versehen, der die Erlaubniß zu reisen enthält und den Tag der Rückkehr vorschreibt. Man gibt ihm einen Wagen und einen Sklaven mit, der die Zugochsen zu führen und zu besorgen hat. Wofern sie aber nicht Frauen mitnehmen, wird der Wagen als etwas Lästiges und Hinderliches zurückgewiesen. Auf der ganzen Reise führen sie nichts mit sich, aber es geht Ihnen gleichwohl nichts ab, denn sie sind ja überall wie zu Hause.

Wenn Einer an einem Orte sich länger als einen Tag aufhält, so nimmt er die Arbeit in seinem Handwerk auf und wird von seinen Zunftgenossen auf's zuvorkommendste behandelt.

Wenn einer eigenmächtig sich außerhalb seines Bezirkes herumtreibt, und ohne den fürstlichen Erlaubnißschein ergriffen wird, so gereicht ihm das zum Schimpf, er wird wie ein Flüchtling zurückgewiesen, scharf gezüchtigt, und geräth im Wiederholungsfalle in die Sklaverei.[89]

Wenn Einen die Lust anwandelt, die Fluren seines Stadtgebiets zu durchschweifen, so ist ihm das nicht verwehrt, wofern er die Erlaubniß seines Vaters und die Zustimmung seiner Ehefrau dazu hat. Aber in jedem Landstrich, wohin er kommt, erhält er nicht früher Nahrung, bevor er so viel Arbeit geleistet hat, entweder Vormittags oder vor dem Abendessen, als es dort Brauch ist. Unter dieser Bedingung darf Jeder sich innerhalb des Gebietes der Stadt, in der er wohnt, frei bewegen. Denn er wird ihr so nicht minder nützlich sein, als wenn er in der Stadt selbst weilte.

Ihr seht daher schon, wie es gar keine Gelegenheit zum Müßiggang, keinen Vorwand zum Faulenzen gibt. Keine Weinkneipe, keine Bierkneipe, kein Bordell, keine Gelegenheit zur Sittenverderbniß, keine Schlupfwinkel, keine heimliche Versammlung, sondern die Augen Aller, die stets auf ihn gerichtet sind, zwingen ihn zu seiner gewohnten Arbeit oder zu ehrbarer Muße.

Bei solcher Lebensführung muß Ueberfluß in allen Dingen im Volke vorhanden sein, und durch die gleichmäßige Vertheilung kommt es, daß es keine Armen und keine Bettler gibt.

Sobald im Senate von Amaurotum (wohin, wie schon bemerkt, jährlich drei Abgeordnete aus jeder Stadt entsendet werden) festgestellt ist, was etwa an einem Orte in Ueberfluß vorhanden ist und woran es andernorts mangelt, so wird der Mangel alsbald ausgeglichen durch die Ueberfülle des ersten Orts und das geschieht ohne Entgelt, indem die in dieser Weise Beschenkten nichts dafür zu entrichten brauchen. Was eine Stadt der andern schenkweise überläßt, stellt sie dieser nicht in Rechnung: andererseits erhält sie selbst wieder von einer anderen Stadt geliefert, was ihr fehlt, wofür sie ebenfalls keine Entschädigung leistet.

So bildet die ganze Insel gleichsam eine Familie.

Wenn sie sich selbst genügend versehen haben (was sie aber nicht für geschehen erachten, wenn sie nicht für zwei Jahre, wegen des ungewissen Ausfalles der Ernte des nächsten Jahres, vorgesorgt haben) exportiren sie den Ueberschuß in großen Mengen, als da ist Getreide, Honig, Wolle, Flachs, Holz, Färberwaid und[90] Purpurschnecken, Felle, Wachs, Talg, Leder und auch Thiere, in die Fremde, von welchen Dingen allen sie den siebenten Theil den Armen jener Gegenden schenken, das Uebrige zu mäßigem Preise verkaufen.

In Folge dieses Handels führen sie auch jene Waaren bei sich ein, deren sie in der Heimat entbehren (obwohl es Derartiges außer Eisen fast nicht gibt), insbesondere eine große Menge Gold und Silber.

Da sie dies schon lange so halten, haben sie an solchen Sachen einen so bedeutenden Ueberfluß aufgehäuft, daß man es kaum glauben möchte. Darum ist es ihnen ziemlich gleichgültig, ob sie gegen baar Geld verkaufen, oder auf Kredit, daher sie auch das Meiste auf Schuldscheine ausstehen haben; dabei gelten solche von Privatleuten nichts: es müssen rechtsgültig ausgestellte Dokumente sein, mittels derer eine ganze Stadt sich offiziell verbürgt.

Sobald der Zahlungstag gekommen ist, fordert die Stadt die Schulden von den Privatschuldnern ein und behält deren Betrag im Aerar und hat von diesem Gelde den Nutzgenuß solange, bis es die Utopier zurückfordern. Sie thun dies aber mit dem größten Theile desselben nicht. Denn einem Anderen das zu nehmen, was für sie keinen Werth hat, diesem aber zum Nutzen gereicht, würden sie nicht für billig halten.

Uebrigens, wenn es gerade einmal erforderlich ist und sie jenes Geld theilweise einem anderen Volke leihen wollen, oder im Kriegsfalle, fordern sie es doch voll zurück; zu diesem einen Zweck behalten sie ihren ganzen Schatz zu Hause zurück, damit er ihnen in äußersten oder plötzlichen Gefahren zum Schutze diene; hauptsächlich um fremde Soldaten (welche sie lieber der Gefahr preisgeben als die eigenen Bürger) durch hohen Sold zu werben, indem sie wohl wissen, daß für hohe Geldsummen auch die Feinde gar häufig käuflich sind, sei's nun durch Verrath, sei's, daß sie sich untereinander selbst wieder feindlich entzweien.

Aus diesem Grunde bewahren sie stets einen unermeßlichen Schatz auf, doch nicht eigentlich als solchen, sondern sie halten[91] es so damit, daß ich mich wahrhaftig schäme, es zu erzählen, indem ich befürchten muß, daß meine Rede keinen Glauben finden werde, was ich um so ernstlicher besorge, als ich nur zu wohl weiß, daß, wenn ich es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, ich nur überaus schwer hätte bewogen werden können, es einem Andern zu glauben, der es mir erzählt hätte.

Denn es ist durchaus natürlich und nothwendig, daß, je fremder und unerhörter etwas den Sitten und Gebräuchen der Zuhörer ist, es auch um so weniger Glauben bei ihnen findet, obwohl ein vernünftiger Beurtheiler sich eigentlich nicht eben so sehr darüber wundern dürfte, da ja auch ihre sämmtlichen übrigen Einrichtungen so bedeutend von den unsrigen abweichen – wenn daher auch der Gebrauch, den sie von Gold und Silber machen, mehr ein ihren als unsern Sitten entsprechender ist.

Sie bedienen sich nämlich unter sich keines Geldes, das sie vielmehr für solche Fälle aufheben, wo es ihnen von Nutzen werden kann, wenn es auch möglich ist, daß solche niemals eintreten.

Mit dem Golde und Silber, woraus Geld hergestellt wird, hat es bei ihnen nämlich diese Bewandtniß, daß es kein Mensch höher schätzt, als ihm seinem natürlichen Werthe nach zukommt, und wer würde da nicht einsehen, daß diese beiden Metalle weit unter dem Eisen stehen? Denn ohne dieses können die Menschen doch wahrhaftig ebensowenig leben, wie ohne Feuer und Wasser, während die Natur dem Gold und Silber keinen Gebrauch verliehen hat, dessen wir nicht leicht entrathen könnten, und es nur die Thorheit der Menschen ist, die der Seltenheit einen so hohen Werth beigelegt hat. Und als eine höchst liebevolle Mutter hat die Natur die nützlichsten Dinge uns ohne alle Schwierigkeiten zugänglich gemacht, wie Luft, Wasser und die Erde selbst, die nichtigen, eitlen, unnützen aber weit entrückt.

Wenn nun diese Metalle bei ihnen irgendwo in einen Thurm verschlossen würden, so könnte der Fürst sowohl als der Senat in den Verdacht kommen (wie das Volk dummpfiffger Weise denkt),[92] als ob sie das Volk hinterlistig betrügen und für sich selbst Vortheil daraus ziehen wollten.

Sie sehen ferner sehr wohl ein, daß, wenn sie daraus Schalen oder andere Gegenstände der Schmiedekunst verfertigen wollten, und diese dann bei vorkommender Gelegenheit wieder einschmelzen müßten, um den Soldaten den Sold auszuzahlen, die Leute sich nur sehr ungern von Dingen trennen würden, an denen sie erst einmal Wohlgefallen zu empfinden angefangen hätten.

Um allen Diesem zu begegnen, haben sie ein Mittel erdacht, das zwar mit ihren übrigen Einrichtungen sehr wohl übereinstimmt, aber mit den unsrigen ganz und gar unvereinbar wäre, da bei uns das Gold so hoch gehalten und so sorgsam bewahrt wird, eine Maßregel, die daher nur Jenen glaublich erscheint, die sich aus der Erfahrung von ihrem wirklichen Bestehen überzeugt haben.

Denn da sie aus zwar sehr zierlichen, aber billigen thönernen und irdenen Gefäßen essen und trinken, so verfertigen sie aus Gold und Silber Nachtgeschirre und andere zu niedrigstem Gebrauche bestimmte Gefäße für die gemeinschaftlichen Hallen sowohl als für Privathäuser. Ueberdies werden Ketten und dicke Fesseln für die Sklaven aus diesen Metallen gefertigt. Endlich werden allen Denen, die durch ein Verbrechen ehrlos geworden sind, goldene Ringe in die Ohren gehenkt, goldene Fingerringe angesteckt, eine goldene Kette um den Hals gethan und um den Kopf wird ihnen eine goldene Schnur gebunden.

So sorgen sie auf alle Weise dafür, daß Gold und Silber bei ihnen eine schimpfliche Rolle spielen, und so kommt es, daß diese Metalle, die sich andere Völker nur unter Schmerzen, als ob es ihre eigenen Eingeweide wären, entreissen lassen, für nichts geachtet werden und, wenn die Utopier einmal alles Gold und Silber, das im Lande ist, hergeben müßten, kein Einziger erachten würde, er habe deswegen auch nur ein As verloren.[93]

Ueberdies sammeln sie Perlen am Meeresufer und Diamanten und Granaten in gewissen Felsen, ohne sie eigentlich zu suchen, aber die ihnen zufällig sich darbietenden schleifen sie. Damit schmücken sie ihre kleinen Kinder, die zwar in den ersten Jahren der Kindheit sich damit brüsten und sehr stolz darauf sind, im etwas vorgerückteren Alter jedoch sie freiwillig, ohne daß es einer Mahnung seitens der Eltern bedürfte, ablegen, so bald sie sehen, daß derlei Kindertand eben nur die Knaben benutzen, dessen sie sich alsbald von selbst schämen. Gerade so werfen unsere Knaben, sobald sie heranwachsen, ihre Nüsse, Knöpfe und Puppen von sich.

Wie sehr aber diese von denen anderer Völker ganz und gar abweichenden Gebräuche und Einrichtungen auch ganz verschiedene Anschauungen und Gesinnungen erzeugt haben, ist mir nie so klar geworden, als im Falle der Anemolischen Gesandten.

Diese waren nach Amaurotum gekommen (zur Zeit, als ich mich gerade dort aufhielt), und weil es über wichtige Dinge zu verhandeln galt, so waren noch vor ihnen jene drei Bürger aus der Stadt dort zusammengekommen. Nun kannten aber die Gesandten aller benachbarten Völkerschaften, die einmal auf der Insel gelandet hatten, bereits die Sitten der Utopier, wußten, daß diese auf prunkvollen Staat und Aufputz nichts gaben, Seide verachtet werde, Gold aber gar in schimpflichem Verrufe sei, und waren daher stets in so bescheidenem Aufzuge als nur möglich in Utopien erschienen. Aber die Anemolier, deren Wohnsitze ziemlich weit abgelegen waren, und kaum Verkehr mit den Utopiern gehabt hatten, hatten vernommen, daß diese alle dieselbe grobe Tracht trügen, und der Meinung waren, sie hätten Mangel an dem, was sie nicht zur Schau trugen, beschlossen, mehr hoffärtig als weise, sich an Pracht wie die Götter herauszustaffiren und durch den Glanz ihres Ornats die Augen der armseligen Utopier zu blenden. So hielten denn die drei Gesandten ihren Einzug mit einem Gefolge von hundert Personen, alle in bunten Farben, die meisten in Seide gekleidet, die Gesandten selbst aber, die in[94] ihrem Lande Edelmannsrang hatten, in golddurchwirkten Gewändern, mit großen goldenen Ketten, mit goldenen Ohr- und Fingerringen, obendrein mit an den Hüten, die von Perlen und Edelsteinen funkelten, besetzten Kleinodien, kurz mit allen jenen Dingen geschmückt, die bei den Utopiern entweder von den Sklaven zur Strafe getragen werden müssen, oder schimpfliche Abzeichen de Ehrlosen, oder Knabenspielzeuge sind.

Es war wahrhaft der Mühe werth, zu sehen, wie sie den Kopf hoch trugen, als sie ihren festlichen Putz mit der Kleidung der Utopier verglichen (denn das Volk war in hellen Haufen auf alle Straßen geströmt).

Dagegen aber war es nicht minder lustig, zu beobachten, wie sehr die Gesandten ihre Erwartung getäuscht sahen und wie weit sie davon entfernt waren, der Hochschätzung theilhaft zu werden, die sie zu erzielen gehofft hatten.

Denn in den Augen aller Utopier, mit Ausnahme einiger Weniger, die aus irgend einem ernsten Grunde bei fremden Völkerschaften gewesen waren, erschien all dieser glänzende Staat schandbar und sie grüßten gerade die Niedrigsten ehrerbietig, weil sie sie für das Ehrenpersonal hielten, die Gesandten selbst aber hielten sie deswegen, weil sie goldene Kelten trugen, um gekehrt für Sklaven und ließen sie daher ohne alle Ehrenbezeugung vorüberziehen.

Und die Knaben hättest du sehen sollen, wie sie ihre Edelsteine und Perlen schleunigst fortwarfen, als sie sahen, daß solche an die Hüte der Gesandten angeheftet waren, und wie sie ihre Mütter zupften und stupften:

›Schau, Mutter, was für ein großer Schlingel da noch Perlen und Edelsteine trägt, als ob er noch ein kleiner Knirps wäre.‹

Aber die Mutter heißt ihn ganz ernsthaft schweigen und sagt: »Vielleicht ist das einer der Possenreißer der Gesandten.«

Und Andere sagten beim Anblicke der goldenen Ketten, daß sie ja nicht zu brauchen seien, weil sie viel zu zierlich wären, so daß sie der Sklave leicht zerbrechen könne, und andererseits[95] hingen sie so schlaff herunter, daß derjenige, der sie um habe, sie abwerfen könne, sobald er wolle, und ungehindert entfliehen.

Als die Gesandten zwei Tage dagewesen waren, entdeckten sie eine große Menge Gold in ganz niedriger Verwendung und in nicht geringerer Unehre gehalten, als sie es hoch in Ehren hielten, und als sie nun gewahrten, daß ein einziger flüchtig gewordener Sklave an Ketten und Fesseln mehr Gold und Silber an sich trug, als sie alle drei zusammen, da zogen sie bescheidenere Saiten auf, schämten sich des Pomps, womit sie sich so sehr gebläht hatten, und legten ihn beiseite, namentlich nachdem sie mit den Utopiern eine vertraulichere Unterredung angeknüpft und deren Anschauungen und Sitten kennen gelernt hatten.

Sie wundern sich gar sehr, wenn sich Jemand an dem zweifelhaften Glanze eines Edelsteinchens oder eines falschen Steines ergötzt, während er doch nur einen beliebigen Stern oder den Glanz der Sonne selbst als etwas viel Schöneres zu betrachten braucht, oder wie Jemand so unvernünftig sein könne, daß er sich selbst etwas Besseres dünkt, weil er einen Rock von feinerem Gewebe anhat, denn sei die Wolle auch noch so sein, so hat sie doch immer zuerst ein Schaf getragen, und dieses ist mittlerweile nichts Anderes geworden, sondern ist immer ein Schaf geblieben.

Ebenso wundern sie sich, wie das seiner Natur nach ganz unnütze Gold jetzt in der Werthschätzung aller Völker so hoch stehe, daß der Mensch selbst, durch den und dessen Gebrauch es erst jenen Werth erhalten hat, viel niedriger geschätzt wird. Und das geht so weit, daß irgend ein Dummkopf, der nicht mehr Verstand hat als ein Holzklotz, und ebenso schlecht als dumm ist, viel weise und brave Männer in seiner Dienstbarkeit hat, und das nur deswegen, weil er zufällig einen größeren Haufen gemünzten Goldes besitzt. Wenn dieses durch einen Glücksumschwung oder einen Gesetzeskniff (der nicht minder als das Gesetz selbst das Unterste zu oberst kehren kann) von jenem Herrn und Besitzer auf den erbärmlichsten Taugenichts seines Hausgesindes übertragen würde, so würde der Herr alsbald in die Knechtschaft seines[96] Dieners kommen, als ob er nur ein Anhängsel und eine Zugabe zum Gelde sei.

Noch viel mehr wundern sie sich über die Unvernunft Derjenigen, und lassen ihr die gebührende Verachtung angedeihen, die den Reichen, deren Schuldner sie weder, noch denen sie sonst irgendwie verpflichtet sind, fast göttliche Ehren erweisen, aus keinem anderen Grunde, als weil sie reich sind, und trotzdem, daß sie sie als so filzig und habsüchtig kennen, um zu wissen, daß ihnen bei Lebzeiten dieser Reichen nie auch nur ein einziger Denar von denselben zukommen wird.

Diese und ähnliche Ansichten haben sie theilweise aus ihrer Erziehung geschöpft, indem sie in einem Staate aufgezogen sind, dessen Einrichtungen von ähnlichen Thorheiten weit entfernt sind, theilweise aus der Litteratur und aus den Wissenschaften.

Denn wenn auch nur Wenige in jeder Stadt sind, die, von den anderen Arbeiten befreit, ausschließlich für die Wissenschaften bestimmt sind, diejenigen nämlich, bei denen von Kindheit auf eine ausgezeichnete Begabung, ein glänzender Verstand und ein wissenschaftlich veranlagter Geist bemerkt worden ist, so wird doch allen Knaben eine wissenschaftliche Grundlage gegeben und der größere Theil des Volkes, sowohl Männer als Frauen, widmen ihr ganzes Leben lang alle arbeitsfreien Stunden, wie schon gesagt worden, den Wissenschaften.

Die einzelnen Wissenschaften, lernen sie in ihrer Sprache. Diese ist wortreich genug, dem Ohr von angenehmem Klang und zum klaren Ausdrucke der Gedanken vortrefflich geeignet. Sie ist über einen großen Theil jenes Erdkreises verbreitet, nur daß sie hier reiner, dort verderbter gesprochen wird.

Von allen den Philosophen, deren Namen in unseren bekannten Erdtheilen berühmt sind, hat sie vor unserer Ankunft nicht einmal ein ruhmvolles Gerücht erreicht gehabt, und doch haben sie in Musik, Dialektik, Arithmetik und Geometrie dieselben Erfindungen gemacht, wie wir in alten Zeiten.

Wenn sie aber den Alten fast in allen Dingen gleichkommen, so stehen sie in der Dialektik den Erfindungen der[97] Neueren weit nach. Denn sie haben keine jener Regeln erfunden, die über Einschränkungen, Erweiterungen und Unterschiebungen in den Anfangsgründen der Logik höchst scharfsinnig ausgedacht worden sind und die schon unsere Knaben lernen.

Sodann waren sie weit davon entfernt, die zweiten Begriffe aufgestellt zu haben, so daß sie nicht im Stande waren, den[98] »Menschen im Allgemeinen«, wie es heißt, zu entdecken, der, wie bekannt, ein wahrer Riese, ja im Grunde größer als jeder Riese ist, auf den, als etwas ganz Bekanntes, wir nur so mit den Fingern zeigen.

Dagegen sind sie in der Lehre vom Lauf der Gestirne und von der Bewegung der Himmelskörper sehr bewandert. Scharfsinnig haben sie auch Instrumente mit verschiedenen Figuren ausgedacht, wodurch Bewegung und Stellung von Sonne, Mond und verschiedenen anderen Gestirnen, die innerhalb ihres Horizontes fallen, auf's allergenaueste dargestellt sind.

Aber von freundlicher und feindlicher Stellung der Wandelsterne (Planeten) und jenem ganzen Schwindel des Wahrsagens aus den Sternen lassen sie sich nichts träumen. Regen, Winde und die übrigen Wechselfälle der Witterung wissen sie durch gewisse Anzeichen lange vorherzusagen.

Ueber die Ursachen aller dieser Dinge, über die Bewegung und Salzigkeit des Meeres und endlich über Natur und Ursprung des Himmels und der Welt nehmen sie zum Theil dasselbe an wie unsere alten Philosophen, theilweise weichen sie,[99] wie unsere Philosophen unter einander, von ihnen allen ab, wenn sie neue Erklärungsarten beibringen, aber unter sich selbst sind sie doch keineswegs einig.

In jenem Theil der Philosophie, welcher von der Tugend und den Sitten handelt, stimmen ihre Ansichten und Vernunftgründe mit den unseren überein. Streitig ist ihnen die Frage über die Güter der Seele und des Leibes und die Glücksgüter, ob allen diesen, oder nur den seelischen Gaben der Name »Gut« zukomme. Sie erörtern das Wesen der Tugend und des Vergnügens, aber die erste und Hauptfrage ist, worin, ob in einem Dinge oder in mehreren, die Glückseligkeit der Menschen bestehe.

In dieser Beziehung schlagen sie sich wohl allzusehr auf Seiten derjenigen Partei, welche das menschliche Glück entweder überhaupt oder doch den wesentlichsten Theil desselben im Vergnügen sieht.

Und worüber Du Dich noch mehr wundern wirst – – die Bekräftigung dieser ihrer etwas epikuräischen, weichlichen Ansicht suchen sie in ihrer doch ernsten und strengen, beinahe düstern, überstrengen Religion!

Denn sie disputiren nie über die Glückseligkeit, ohne daß sie einige aus der Religion genommene Grundsätze mit der Philosophie, die sich der Gründe bedient, verbinden, denn die Vernunft an sich halten sie, ohne diese Grundsätze für unzureichend und zu blöde, das Wesen der wahren Glückseligkeit zu ergründen.

Diese Axiome sind folgende:

Die Seele ist unsterblich und durch Gottes unendliche Güte zur Glückseligkeit geschaffen; unserer Tugenden und guten Thaten harren Belohnungen nach diesem Leben, der Missethaten aber Strafen.

Wenn diese Axiome auch der Religion angehören, so glauben die Utopier doch, daß die Vernunft allein dazu führe, sie zu glauben und zu billigen. Wenn aber diese Axiome aufgehoben[100] würden, so nimmt kein Utopier den geringsten Anstand, zu erklären, daß wohl Niemand so dumm sei, das Vergnügen nicht um jeden Preis zu erstreben, und daß man sich nur in Acht nehmen müsse, daß ein geringeres Vergnügen nicht einem größeren hindernd im Wege stehe, oder daß man keinem Vergnügen nachhänge, welches den Schmerz im Gefolge hat. Denn den schwierigen und steilen Pfad der Tugend zu erklimmen, und nicht nur den Annehmlichkeiten des Lebens zu entsagen, sondern freiwillig Schmerzen auf sich zu nehmen, wovon man nicht den geringsten Vortheil zu erwarten hat (denn welches sollte der Vortheil sein, wenn nach dem Tode nichts zu erlangen ist und man sein Leben hiernieden in Mühsal und Elend zugebracht hat?) – das halten sie allerdings für den Gipfelpunkt der Thorheit.

Nun meinen sie freilich nicht, daß die Glückseligkeit in jeder Art von Vergnügen bestehe, sondern nur im ehrbaren. Zu diesem, als dem höchsten Gute, werde unsere Natur von der Tugend selbst gezogen, in welche die entgegengesetzte Partei von Philosophen die Glückseligkeit verlegt.

Als Tugend definiren sie nämlich ein der Naturgemäßes Leben, dazu wären wir von Gott bestimmt. Derjenige folge dem Zuge der Natur, der in Demjenigen, was er begehrt und was er meidet, sich von der Vernunft leiten läßt. Die Vernunft entzünde ferner vor allen Dingen Liebe zur und anbetende Verehrung vor der göttlichen Majestät in den Herzen der Menschen, der wir alles verdanken, was wir sind, und alles Das, dessen wir an Glückseligkeit theilhaftig werden können; sodann ermahnt sie uns beständig und treibt uns dazu an, für's erste ein möglichst sorgenfreies und frohes Leben selbst zu führen und allen Mitmenschen, dem triebe der natürlichen Geselligkeit zufolge, zu gleichem Zwecke behilflich zu sein.

Denn es gibt wohl kaum einen so finstern und unbeugsam starren Anhänger der Tugend und Hasser des Vergnügens, der die auch noch so sehr harte Arbeit, Nachtwachen und schmutzige Kasteiung empföhle, das er dir nicht zugleich auch auftrüge, den Mangel und das Ungemach deiner Mitmenschen zu lindern,[101] so viel das in Deiner Macht steht, sowie daß er eine solche Handlungsweise nicht für etwas im Namen der Menschheit zu Preisendes hielte, nämlich, daß der Mensch dem Menschen Gesundheit verschaffe und Trost spende, weil er es für die menschlichste aller Tugenden ansieht, die Beschwerden Anderer so viel nur immer möglich zu erleichtern, den Kummer zu tilgen und das Leben der Freude, das heißt also dem Vergnügen wiederzugeben.

Warum sollte er, wozu die Natur ihn gegen Andere anspornt, nicht auch sich selbst vergönnen? Denn entweder ist ein angenehmes Leben, d.h. ein vergnügungsvolles ein moralisch schlechtes, und wenn es das ist, darfst du Keinem dazu verhelfen wollen, sondern man muß sogar soviel als möglich dafür sorgen, daß es, als etwas Schädliches und Verderbliches, den Leuten entzogen werde, oder es ist etwas Gutes und das darf man nicht nur Andern, sondern soll es ihnen sogar verschaffen – – warum also nicht auch in erster Linie sich selbst?

Es ist doch nicht gesagt, daß du dein eigenes Wohl weniger im Auge haben sollst, als das der Andern. Denn wenn die Natur selbst uns auch mahnt und drängt, gegen Andere gut zu sein, so befiehlt sie dir andererseits doch auch nicht, gegen dich selbst rauh und barbarisch streng zu verfahren.

Ein angenehmes, fröhliches Leben, d.h. also Vergnügen, hat uns, nach ihrer Behauptung, die Natur somit selbst, gleichsam als den Endzweck aller Handlungen, vorgezeichnet, und nach den Vorschriften der Natur leben, nennen sie Tugend. Wie aber die Natur alle Menschen zur gegenseitigen Unterstützung und Hilfeleistung im Genusse eines heiteren Lebens einladet (und das thut sie sehr mit Recht, denn so hoch steht Keiner über dem allgemeinen Menschenloose, daß sie nur für ihn allein sorgte, sie, die Alle gleichmäßig wärmt und durch das gemeinsame Band derselben Gestalt umfaßt), so befiehlt sie dir doch nicht, deinen Vortheil und eigenen Nutzen in einer Weise zu suchen, daß du Andern Schaden und Ungemach bereitest.[102]

Darum sind sie der Ansicht, daß man nicht nur die unter Privatpersonen eingegangenen Verträge, sondern auch die öffentlichen Staatsgestze halten und beobachten müsse, die entweder ein guter Fürst gerechter Weise erlassen hat, oder die durch die allgemeine Beistimmung des Volkes sanktionirt worden, das weder durch Tyrannei unterdrückt, noch durch Hinterlist umgarnt wird, Gesetze, die die gleiche Theilung der Lebensgüter, also des Vergnügens, zum Zwecke haben.

Für dein Wohl sorgen, ohne die Gesetze zu verletzen, das ist Weisheit; überdies das allgemeine Wohl fördern, das ist fromme Menschenliebe; Andern jedoch ihr Vergnügen entreißen und dem eigenen fröhnen, das ist Unrecht; hingegen dir selbst etwas abzubrechen, um es den Anderen zuzulegen, das heißt im Sinne der Humanität und edler Güte thätig sein, und beraubt dich nie so vielen Vortheils, als es dir andererseits wieder einbringt.

Denn materiell wird es durch die Wiedervergeltung der Wolthaten aufgewogen und zugleich gewährt das wohltuende Bewußtsein der guten That und die Erinnerung an die dankbare Liebe Derer, denen du Wohltaten erwiesen hast, ein so viel größeres seelischer Vergnügen, als das körperliche gewesen wäre, das du dir versagt hast.

Endlich (welche Ueberzeugung einem religiösen gläubigen Gemüthe leicht beizubringen ist) vergilt Gott ein gewährtes kurzes unbedeutendes Vergnügen mit überschwänglicher, unvergänglicher Freude.

Und so ist es denn ihre Meinung, wenn man der Sache gründlich nachdenkt, daß alle unsere Handlungen und damit die Tugenden selber, ausschließlich das Vergnügen und die Glückseligkeit zum Endziel haben.

Vergnügen nennen die Utopier jede Bewegung und jeden Zustand des Körpers und der Seele, wobei der Mensch ein natürliches Wohlbehagen empfindet. Nicht ohne Grund fügen sie hinzu, ein Wohlbehagen, wonach die Natur verlangt. Denn sowie nicht nur die Sinne etwas erstreben, sondern auch die normale Vernunft[103] nach dem trachtet, was von Natur angenehm ist, wonach weder durch ein zu begehendes Unrecht gestrebt wird, noch wodurch etwas Angenehmeres verloren geht, worauf auch keine Mühe und Arbeit folgt, so halten sie jene Dinge zur Erlangung der Glückseligkeit für unnütz, welche die Menschen gegen die Ordnung der Natur, einer eitlen Uebereinkunft zufolge, für höchst liebliche gelten lassen (als ob sie es in ihrer Macht hätten, nur so ohne Weiterers die Dinge dadurch, daß sie andere Worte dafür wählen zu etwas Anderem zu machen, als sie wirklich sind), ja sie halten sie sogar für schädlich, weil, wenn sie sich einmal in ihren Begriffen einwurzeln, für die wahren und unverfälscht natürlichen Ergötzungen kein Platz in der Seele übrig bleibt, dies vielmehr von einer falschen Vorstellung vom Wesen des Vergnügens voreingenommen wird.

Es gibt nämlich eine Menge von Dingen, die an und für sich durchaus nichts von Annehmlichkeit enthalten, wohl aber einen guten Theil von bitterem Beigeschmack, die aber vermöge der grundverkehrten Lockungen schmählicher Begierden nicht nur gerade für die höchsten ergötzenden Genüsse gehalten, sondern auch zu den wichtigsten Angelegenheiten des Lebens gezählt werden.

In die Reihe der von solchen falschen Vergnügungen Eingenommenen stellen sie Diejenigen, deren ich früher Erwähnung gethan habe, die sich nämlich selbst für um so besser halten, je besser der Rock ist den sie tragen. Da befinden sie sich nämlich in einem doppelten Irrthum, denn sie täuschen sich, wenn sie ihren Rock für besser halten, wie sie sich nicht minder täuschen, wenn sie deswegen sich selbst für etwas Besseres halten. Denn was der Vorzug einer Wolle von feinerem Gewebe vor einer mit gröberer Textur, sofern es sich um den praktischen Gebrauch des Kleides handelt?

Denn als ob sie sich von Natur und nicht durch ihren falschen Wahn vor Anderen hervorthäten, tragen sie das Haupt gar hoch und glauben, daß ihr eigener innerer Werth durch bessere Kleid erhöht werde, und verlangen Ehrenbezeigungen als von Rechtswegen ihnen zukommend, sobald sie mit einem eleganten[104] Kleide angethan sind, die sie, geringer gekleidet, für sich zu hoffen nicht gewagt hätten, und sie nehmen es gar übel, wenn sie trotz ihrer stattlichen Kleidung nicht weiters groß beachtet werden.

Ist es denn nicht die richtige Thorheit, aus eitlen und nichts nützenden Ehrenbezeigungen sich so viel zu machen? Was für ein natürliches und echtes, wahres Vergnügen bringt es denn ein, den Scheitel eines Andern entblößt, oder dessen Kniee gebeugt zu sehn? Wird dadurch ein Schmerz, den du in deinen Knieen hast, geheilt? Und wenn du phantasirst, wird es wohl in deinem Kopfe klar, wenn ein Anderer seinen Hut vor dir zieht?

Mit diesem Scheinbild eines gefälschten Vergnügens gebärden sich wie unsinnig Diejenigen, welche sich mit ihrem Adel schmeicheln, und eine wunderbare Meinung von sich selbst haben, weil sie zufällig von Vorfahren abstammen, deren lange Reihe für reich, insbesondere in Grundstücken und Landgütern gilt, denn im Reichthum besteht heutzutage der Adel. Sie würden sich aber um kein Haar weniger adelig dünken, wenn ihnen die Vorfahren nichts hinterlassen hätten, oder sie selbst Alles durchgebracht hätten.

Zu diesen Thoren rechnen sie auch Diejenigen, welche in Edelsteine und Gemmen (wie schon gesagt) vernarrt sind; sie kommen sich vor, als ob sie geradezu zu Göttern erholten worden wären, wenn sie einmal eines vorzüglichen Exemplars habhaft werten, besonders von jener Gattung, die zu ihrer Zeit sehr hoch geschätzt wird.

Denn jeder stehen dieselben Steine bei Allen in gleich hohem Werthe, noch dieselben Arten zu jeder Zeit. Man kauft sie nicht anders als nackt, d.h. ohne Goldfassung, und selbst dann nicht einmal noch, wenn der Verkäufer nicht zuvor einen Eid geschworen und Bürgschaft gestellt hat, daß es ein echter Edel- oder Halbedelstein sei; so vorsichtig gehen sie zu Werke, daß ihre Augen nicht durch einen falschen Stein an Stelle eines echten getäuscht werden.

Aber wenn du ihn zur Augenweide haben willst, warum sollte dir ein unechter weniger Ergötzen gewähren, den dein Auge nicht von einem echten zu unterscheiden vermag? Beide sollten dir gleichviel werth sein, gerade so, wie einem Blinden auch.[105]

Und werden Diejenigen, die überflüssige Reichthümer aufbewahren, nicht, um von ihrem aufgehäuften Gelde Gebrauch zu machen, sondern blos, um sich an dem Anblicke desselben zu weiden, nicht vielmehr von einem Scheinvergnügen betrogen, als daß sie ein wirkliches genössen? Oder Diejenigen, welche, dem entgegengesetzten Laster huldigend, ihr Gold, von welchem sie nie Gebrauch machen, das sie vielmehr in ihrem ganzen Leben nicht wieder sehen werden, vergraben, und, aus Furcht, daß sie darum kommen könnten, es wirklich verlieren? Denn was heißt es anders, als es diesem eigenen Gebrauche und vielleicht dem der Menschen überhaupt entziehen, wenn sie das Geld unter der Erde verbergen? Und dennoch freust du dich ungemein, wenn du nur deinen Schatz verborgen hast, als ob er dir jetzt keinerlei Sorgen mehr machte!

Wenn nun diesen Schatz Einer gestohlen hätte, und du müßtest nichts von diesem Diebstahl und stürbest zehn Jahre später, nachdem dir das Geld gestohlen worden, so frage ich, was es dir für einen Unterschied ausmacht, ob dir das Geld gestohlen worden, oder ob es während dieser Zeit in Sicherheit gewesen sei? In beiden Fällen ist der Nutzen des Schatzes für dich derselbe.

Zu diesen so läppischen Ergötzungen rechnen die Utopier auch die Beschäftigungen der Würfelspieler (deren Thorheit sie nur vom Hörensagen, nicht aus der selbsterlebten Praxis kennen), außerdem der Jäger und Vogelsteller.

Denn was für ein Vergnügen (so sagen sie) soll dabei sein, die Würfel aus ein Brett zu werfen, was so oft wiederholt wird, daß, wenn ja ein gewisses Vergnügen damit verbunden wäre, aus dieser zahllosen Wiederholung vielmehr Ueberdruß entstehen müßte?

Und was hat es Liebliches und erweckt nicht vielmehr Widerwillen und Mißfallen, die Hunde bellen und heulen zu hören? Oder ist die Empfindung ergötzlicher, die man hat, wenn ein Hund einen Hasen, als wenn ein Hund einen Hund verfolgt? Um eine und dieselbe Sache handelt sich's nämlich in beiden Fällen; denn wenn das Nennen das Vergnügen bildet – – gerannt wird auf die eine und auf die andere Weise.[106]

Und wenn dich die Erwartung auf das Zerreißen der Thiere vor deinen Augen fesselt, so sollte ja eher Mitleid dein Herz bewegen, ein Häslein von einem Hunde, das Schwache Thier von dem stärkeren, das furchtsame und die Flucht ergreifende von dem wilden, das harmlose endlich von dem grausamen zerrissen zu sehen.

Deswegen haben die Utopier die gesammte Ausübung der Jagd, als eine freier Männer unwürdige Sache, auf die Metzger beschränkt (welchem Gewerbe, wie bereits oben gesagt, sie sich Sklaven unterziehen lassen), denn sie halten die Jagd für die niedrigste Thätigkeit des Schlächterhandwerks, dessen übrige Verrichtungen sie für nützlicher und anständiger halten, weil sie die Thiere aus Nothwendigkeitsrücksichten vom Leben zum Tode bringen, während dem Jäger Mord und Niedermetzelung der armen Thiere rein nur zum Vergnügen dienen soll. Dieses lechzende Verlangen nach Blut und Mord wohne entweder von Natur den wilden Thieren ein, oder entspringe in grausamen menschlichen Seelen, oder arte zuletzt, durch beharrliche Ausübung eines so blutigen Vergnügens, in Grausamkeit aus.

Dieses und dergleichen (denn es gibt unzählige Vergnügungen ähnlicher Art), obwohl sie das genuine Volk für wirkliche Vergnügen der Menschen hält, erklären die Utopier rundweg, habe mit dem wahren, echten Vergnügen nichts gemein, da alledem nichts natürlich Angenehmes innewohnt.

Denn, wenn solche falsche Vergnügungen auch die Sinne mit angenehmen Empfindungen erfüllen (was die Wirkung des Vergnügens zu sein scheint), so gehen sie deswegen doch keineswegs von ihrer Meinung ab, weil nicht die Natur der betreffenden den Sache, sondern nur die verkehrte Gewohnheit der Menschen die Ursache davon ist, das sie unangenehme Dinge für angenehme hinnehmen.

Nichts Anderes ist es wenn schwangeren Frauen ihrem verdorbenen, krankhaften Geschmacke zufolge Pech und Talg lieblicher und süßer als Honig dünken. Aber deswegen wird doch das entweder durch Krankheit oder Gewohnheit verderbte Urtheil die[107] Natur nicht ändern, weder die Natur des Vergnügens, noch die anderer Dinge.

Die Utopier unterscheiden mehrere Arten wahren Vergnügens, und zwar sowohl körperlicher als geistiger Natur. Letzterer Art ist der Verstand und jenes traute Wohlbehagen, welches die Betrachtung der Wahrheit erzeugt. Daran reiht sich die süße Erinnerung an ein musterhaft geführtes Leben und die gewisse Hoffnung auf eine glückliche Zukunft.

Die Vergnügen des Körpers theilen sie in zweierlei Arten, deren erstere darin besteht, daß die Sinne mit merkbarem Wohlgefühl durchdrungen werden, was durch Erfrischung jener Organe geschieht, welche durch die innewohnende natürliche Wärme erschöpft worden sind. Sie werden durch Speise und Trank wider hergestellt, andererseits werden die überflüssigen Stoffe im Leibe entleert, deren Entfernung von Erleichterung begleitet ist. Dieses Gefühl wird hervorgerufen durch Verrichtung unserer Nothdurft mittels Entleerung der Eingeweide, oder durch den Akt der Kinderzeugung oder durch Reiben oder Kratzen einer Stelle, die juckt.

Manchmal entsteht ein Vergnügen, ohne daß etwas dargeboten wird, was den Körpergliedern ein angenehmes Verlangen stillt, noch etwas entfernt, was dem Körper leidendes Unbehagen verursacht, das aber unsere Sinne doch mit einer gewissen geheimen Kraft kitzelt und mit einer herrlichen Bewegung durchs bebt und ganz und gar an sich zieht, wie es z.B. aus der Musik entsteht.

Die zweite Art des körperlichen Vergnügens, behaupten sie, besteht in einem ruhigen, gleichmäßigen Zustande des Körpers, das ist, in der von keines Uebel unterbrochenen Gesundheit jedes Menschen. Diese nämlich ist, wenn sie von keinerlei sie beeinträchtigendem Schmerz angefochten wird, an sich etwas Erquickendes, wenn auch kein von außen kommendes Vergnügen auf den Körper einwirkt und ihn in Bewegung setzt. Denn obwohl sie sich den Sinnen weniger bemerkbar aufdrängt, als die Lustbegierde nach Essen und Trinken, erklären sie Viele nichtsdestoweniger für[108] die höchste Lust und fast alle Utopier gestehen unumwunden, daß sie ein großes Vergnügen und die Grundlage aller andern Vergnügen ist, insofern diese erst auf ihrer Basis entstehen können, als durch welche allein das Leben einen wünschenswerten und ruhig-gefälligen Verlauf nehme; sei sie verschwunden, so könne kein Vergnügen irgendwelcher Art mehr statthaben. Denn nicht gesund sein, wenn man auch keine Schmerzen habe, das nennen sie nicht reines, erquickendes Vergnügen, sondern bloß stumpfe Unempfindlichkeit.

Haben sie doch auch längst unter sich den Ausspruch Derjenigen verworfen, die da meinten, die beständige und ruhige Gesundheit (denn auch diese Frage ist bei ihnen sorgfältig erörtert worden) sei nicht für ein Vergnügen zu halten, weil sie behaupteten, es könne ein solches nicht geben, ohne daß es durch eine von außen kommende Bewegung empfunden werde.

Heutzutage aber sind sie wohl so ziemlich Alle darüber einig daß die Gesundheit ein Vergnügen ersten Ranges sei. Denn, sagen sie, indem die Krankheit den Schmerz einschließt der der unversöhnliche Feind des Vergnügens ist, gleich wie das die Krank heil für die Gesundheit ist, warum soll dann nicht auch ein Vergnügen in der stetigen, gleichmäßigen Ruhe der Gesundheit liegen?

Es sei in dieser Beziehung völlig gleichgültig, ob der Schmerz die Krankheit sei, oder ob der Schmerz nur der Krankheit innewohne. Denn das laufe der Sache nach doch immer auf das selbe hinaus. Denn wenn die Gesundheit entweder das Vergnügen selbst ist, oder nothwendigerweise das Vergnügen im Gefolge hat, geradeso wie die Wärme durch Feuer erzeugt wird, so muß in beiden Fällen die Wirkung hervorgebracht werden, daß Denjenigen, die im Besitze einer unerschütterten Gesundheit sind, das Vergnügen nicht fehlen kann.

Wenn wir sodann essen, sagen sie, kämpft da die Gesundheit, die abzunehmen begonnen hatte, nicht mit Hilfe der Speise gegen den Hunger, und während sie allmählich wieder zunimmt kommt der Mensch wieder zu seinen gewohnten Kräften und, in dem wir so erquickt werden, tritt auch das Vergnügen ein. Und[109] nun sollte die Gesundheit, welche, als sie zu kämpfen hatte, frohen Muthes war, nicht sich erst freuen, wenn sie den Sieg erringt? Warum sollte sie, nachdem sie ihre frühere Stärke glücklich wieder erlangt, nach der allein sie doch im Kampfe gestrebt hat, fortan stumpf werden und, was ihr gut thut, weder erkennen, noch mit liebender Sorgfalt pflegen?

Denn daß man die Gesundheit nicht als etwas Positives empfinde, das leugnen sie als etwas ganz und gar Falsches. Wer empfindet denn im wachen Zustande nicht, daß er gesund ist, außer Derjenige, der es eben nicht ist? Gänzliche Unempfindlichkeit oder Schlafsucht mußte Denjenigen befallen haben, der sich nicht selbst zu gestehen im Stande wäre, daß die Gesundheit etwas Angenehmes und Ergötzliches sei. Aber was ist Ergötzung Anderes, als ein anderes Wort für Vergnügen?

Sie pflegen daher in erster Linie die geistigen Vergnügungen, die ihnen für die vornehmsten und bedeutendsten gelten, die, wie sie dafür halten, in ganz überwiegendem Maße aus der Uebung der Tugend und aus dem guten Gewissen eines wohl zugebrachten Lebens entspringen.

Von den Vergnügen, die die körperliche Seite des Daseins gewährt erkennen sie der Gesundheit den Preis zu. Denn die Annehmlichkeit des Essens und Trinkens und was immer eine Ergötzlichkeit ähnlicher Art ist, das ist Alles nur der Gesundheit wegen anzustreben – haben sie als ein Axiom aufgestellt. Das sei Alles nichts an sich Angenehmes, sondern nur insofern, als es der sich einschleichenden Krankheit Widerstand leistet.[110]

Wie darum ein weiser Mann es als seine Aufgabe erachte, vielmehr den Krankheiten vorzubeugen, als nach Arzeneien zu verlangen, und die Schmerzen von vornherein abzuwenden, als Linderungsmittel dagegen zu suchen, so wäre es auch vorzuzeigen, dieser Art von Vergnügen nicht zu bedürfen, als vom entgegen gesetzten Schmerz dadurch geheilt werden zu müssen. Wenn jemand glauben sollte, daß ihn derlei Vergnügungen glückselig machen, so müßte er nothwendigerweise dann am allerglücklichsten werden wenn er ein Leben führte, das unter beständigem Hunger, Durst, Jucken, Essen, Trinken, Kratzen und Reiben verbracht wird.

Der sieht aber nicht, daß ein solches Leben ein ebenso unfläthiges wie elendes ist? Diese Art von Vergnügen sind die niedrigsten, die am wenigsten reinen. Denn sie stellen sich nie ein, ohne die gerade entgegengesetzten Schmerzen. So ist mit der Eßluft der Hunger verbunden und zwar in einem keineswegs gleichen Verhältnisse denn je heftiger der Schmerz, desto länger dauert er. Denn er beginnt vor dem Vergnügen und endet nicht früher, als bis das Vergnügen zugleich mit ihm erlischt.

Aus diesen Grünen halten sie von Vergnügen dieser Art nicht viel, außer da, wo dieselben durch die Nothdurft erfordert sind.

Indessen sie erfreuen sie auch ihrer und erkennen dankbar die Güte der Mutter Natur an, die ihre Kinder mit lieblich schmeichelnden Empfindungen zu dem anlockt, was sich als eine unausweichliche Nothwendigkeit darstellt und darum gethan werden muß. Wie viel größer wäre die Widerwärtigkeit, unter der wir zu leben hätten wenn wir, wie die andern Krankheiten, die uns zwar seltener anfechten, auch diese tägliche des Hungers und des Durstes durch Gifte und bittere Arzneien zu vertreiben hätten?

Die Gestalt, die Körperkräfte und die Gelenkigkeit pflegen sie gern als die eigentlichen und angenehmen Geschenke der Natur. Aber die Arten Vergnügen, die durch Ohren, Augen und Nase aufgenommen werden, die die Natur als dem Menschen eigentümliche, speziell ihm zukommende, bestimmt hat (denn keine andere Gattung von Lebewesen faßt Bau und Schönheit der Welt mit dem Blicke auf, es gibt keine Feinheit der Düfte für sie, sie[111] bedienen sich des Geruchsinnes nur zur Unterscheidung der Nahrungsmittel, auch empfinden sie nicht den harmonischen und dissonirenden Abstand der Töne) – – diese Arten des Vergnügens sage ich, lassen sie als angenehme Würze des Lebens gelten.

Bei allen diesen Vergnügen aber befolgen sie die Richtschnur, daß ein geringeres nicht ein größerer hindere noch daß ein Vergnügen Schmerz erzeuge, was nothwendigerweise nach ihrer Meinung erfolgen müßte, wenn das Vergnügen ein unziemliches sei.

Aber die Schönheit der Leibesgestalt verachten, die Körperkräfte schwächen, die Gelenkigkeit in Trägheit verkehren, den Leib durch Fasten und Kasteiungen erschöpfen, die Gesundheit schädigen und alle uns von der Natur erlaubten Annehmlichkeiten zurückweisen, halten sie für das Allerwahnwitzigste, sofern Einer diese Lebensbequemlichkeiten nicht vernachlässigt, weil er mit Feuereiser für das Wohl seiner Nebenmenschen oder für das allgemeine Beste thätig ist, wofür er von Gott als Lohn für seine Mühewaltung ein Vergnügen höherer Art erwartet, – sondern bloß um eines nichtigen Schattens der Tugend willen sich selbst Trübsal zufügen, ohne daß Jemand einen Vortheil davon hat, oder damit man Ungemach leichter ertragen könne, das uns vielleicht niemals heimsucht, das sehen sie für das Merkmal eines gegen sich selbst grausamen und gegen die Natur höchst undankbaren Gemüthes an, das, weil es verschmäht, ihr so viel zu verdanken, allen ihren Wohlthaten entsagt.

So lautet das Urtheil der Utopier über die Tugend und das Vergnügen, und sie glauben, daß, wofern nicht eine direkt vom Himmel geoffenbarte Religion etwas Erhabeneres dem Menschengeiste einflößt, die menschliche Vernunft keine wahrere erfinden könne.

Ob sie darin richtig oder falsch berathen sind, das zu erörtern gebricht es uns hier an Zeit und es ist auch nicht nöthig, denn wir haben ihre Einrichtungen aufzuzählen unternommen, nicht dieselben zu vertheidigen. Ich bin aber fest überzeugt, wie sich das auch immer verhalte, daß nirgends ein vorzüglicheres Volk, noch ein glücklicherer Staat zu finden sei.[112]

Dem Körper nach sind sie flink, gewandt, ausdauernd, und leisten an Körperkraft mehr, als ihre Statur verspricht, obwohl diese durchaus nicht klein ist.

Obwohl der Boden nicht überall der fruchtbarste, das Klima nicht besonders gesund ist, schützen sie sich doch durch Mäßigkeit der Lebensweise so gegen die Luft, melioriren das Erdreich so durch fleißige Bestellung, daß bei keinem Volke die Produktion von Getreide und Vieh eine üppigere ist, daß das physische Leben nirgends langlebiger und weniger Krankheiten unterworfen ist.

Nicht allein, was gewöhnlich die ackerbauende Bevölkerung thut, kannst du da mit gewissenhaftem Fleiße betrieben sehen, daß nämlich einem von Natur geringwerthigeren Boden durch Kunstmittel und fleißige Arbeit nachgeholfen wird, sondern ganze Wälder werden von den Händen des Volks ausgerodet und anderswo angepflanzt, wobei nicht die Fruchtbarkeit, sondern Rücksichten des Transports maßgebend sind, damit das Holz dem Meere oder den Flüssen oder den Städten selbst desto näher wäre, denn Getreide wird mit geringerer Mühe als Holz auf dem Landwege weite strecken verfahren.

Ein leutseliges, lustiges, kluges, behäbige Muße liebendes Volk, das aber doch auch körperliche Arbeit (da es daran gewöhnt ist,) ganz geduldig auf sich nimmt. Sonst reißt es sich nicht gerade besonders darum, aber in geistigen Studien ist es unermüdlich.

Als sie von mir Einiges über die Litteratur und Wissenschaft der Griechen gehört hatten (denn von der lateinischen Litteratur würden sie, dachte ich, außer den Geschichtschreibern und Dichtern wenig gutheißen), da war es wirklich merkwürdig zu sehen, mit welchem Eifer sie bestrebt waren, zum Verständniß der griechischen Autoren zu gelangen, indem mir ihnen dieselben erklärten.

Wir singen also zu lesen an, anfangs mehr nur, damit es nicht den Anschein habe, daß wir die Bitte abschlagen wollten, als daß wir praktischen Nutzen davon erhofft hätten.

Als wir aber allmählich ein wenig darin fortschritten, da bewirkte ihr Fleiß, daß wir bald erkannten, unsere Bemühung[113] würde nicht umsonst aufgewendet werden. Sie begannen die Gestalt der Buchstaben so leicht nachzuahmen, die Wörter so treffend auszusprechen und sich so schnell ins Gedächtniß zu prägen und den Text mit solcher Treue zu übersetzen, daß es uns schier ein Wunder hätte dünken müssen, wenn nicht die Meisten darunter, nicht nur von freiwilligem Lerneifer entbrannt, sondern auf Befehl des Senats dieses Studium unternommen hätten und sie nicht auserlesene Köpfe aus der Zahl der Gelehrten und von reifem Alter gewesen wären. Daher dauerte es keine drei Jahre, daß sie die guten Autoren in griechischer Sprache ohne Anstoß lesen konnten, wofern im Bücherdruck keine Fehler waren.

Sie eigneten sich aber diese Kenntnisse, wie ich vermuthe, deswegen um so leichter an, als sie ihnen nicht ganz fremde waren, sondern eine gewisse Verwandtschaft vorliegt. Ich nehme nämlich an, daß der Ursprung dieses Volkes von den Griechen hergeleitet werden könne, weil seine Sprache, die im Uebrigen ziemlich der persischen ähnlich ist, gewisse Spuren griechischer Sprache in den Städtenamen, sowie in den Benennungen ihrer Obrigkeiten aufweist.

Sie besitzen von meiner Hand die meisten Werke Platos, mehrere von Aristoteles, dann Theophrast über die Pflanzen, aber an vielen Stellen unvollständig, was ich sehr bedauere. (Denn als ich beschlossen hatte, meine vierte Seereise anzutreten, packte ich an Stelle der Waaren ein ziemlich großes Bücherbündel in das Schiff, da ich viel eher entschlossen war, gar nicht mehr, als nach kurzer Zeit zurückzukehren.)

Ich hatte während der Fahrt auf das Buch nicht weiter geachtet, da gerieth eine Meerkatze darüber, die mutwillig und spielerisch einige Seiten herausgerissen und zersetzt hatte.[114]

Von Grammatikern besitzen sie nur den Laskaris, denn den Theodorus hatte ich nicht mitgenommen, und auch kein anderes Wörterbuch als den Hesychios und Dioskorides. Die Bücher des Plutarch schätzen sie sehr hoch und auch von Lucians Schwänken und anmuthiger Darstellung sind sie ganz eingenommen. Von den Dichtern besitzen sie den Aristophanes, Homer, Euripides und den Sophokles in des Aldus kleinen Typen. Von den Geschichtschreibern Thukydides und Herodot, sowie den Herodianus.[115]

Auch mein Reisegefährte Tricius Apinatus führte einige kleine Werke des Hippokrates mit sich, sowie Galens Mikrotechne, Bücher, die sie gar hoch halten. Denn, wenn die Medicin ihnen fast von allen Völkern am wenigsten Noth thut, so steht sie doch nirgends höher in Ehren, denn sie rechnen ihre Kenntniß zu den schönsten und nützlichsten Theilen der Philosophie, durch deren Hilfe sie die Geheimnisse der Natur erforschen, woraus sie nicht nur ein wunderbares Vergnügen sich selbst verschaffen, sondern auch das höchste Wohlgefallen des Weltenschöpfers und Werkmeisters der Natur sich zu erwerben glauben.

Sie sind der Meinung, dieser habe nach Art anderer Handwerksmeister den Mechanismus dieser Welt für den Menschen (den er allein zu solcher Betrachtung fähig geschaffen hat) zur Beschauung hingestellt und habe Denjenigen lieber, der ein wißbegieriger und eifriger Betrachter und Bewunderer seines Werkes sei, als Denjenigen, der wie ein vernunftloses Thier einen so großartigen und wunderbaren Anblick in geistiger Stumpfheit und unbewegten Busens gar nicht beachtet.

Daher sind die beständig in den Wissenschaften geübten Geister der Utopier ganz vortrefflich geeignet, Fertigkeiten und Künste zu erfinden, die zur behaglichen Gestaltung des Lebens beitragen. Zwei davon aber verdanken sie gleichwohl uns, nämlich den[116] Buchdruck und die Papierfabrikation, aber keineswegs ganz und gar nur uns allein, sondern zum guten Theile auch sich selbst, d.h. ihrer eigenen Begabung. Denn als wir ihnen die Drucke des Aldus in Büchern von Papier zeigten, und mit ihnen von den Stoffen sprachen, woraus Papier verfertigt wird, sowie von der Möglichkeit mit Buchstaben zu drucken, und ihnen davon mehr nur einige Andeutungen gaben (denn keiner der Unsrigen war in den beiden Künsten wohlbewandert), so erriethen sie alsbald mit großem Scharfsinn durch Kombiniren das Uebrige, und wenn sie früher bloß auf Fellen, Rinden und aus dem Schafte der Papyrusstaude hergestellten Blättern schrieben, so machten sie jetzt sofort Besuche, Papier zu verfertigen und mit Lettern zu drucken, und als sie damit Anfangs nicht zum Besten zu Stande kamen, stellten sie fortgesetzt neue Versuche an und hatten in beiden Beziehungen bald guten Erfolg, ja brachten es darin so weit, daß, wenn nur die erforderlichen Exemplare griechischer Autoren vorhanden gewesen wären, sie an gedruckten Bänden keinen Mangel hätten. Nun haben sie aber an gedruckten Büchern nicht mehr, als ich oben schon erwähnt habe, diese aber haben sie bereits in Tausenden von Exemplaren vervielfältigt.

Wer immer als schaulustiger Reisender nach der Insel kommt und sich durch irgend eine Geistesgabe auszeichnet, oder wem die Erfahrung ausgedehnter Reisen mit einer ausgebreiteten Länderkenntniß zur Seite steht (auf Grund dessen war ihnen unsere Landung willkommen), wird aufs Bereitwilligste aufgenommen. Denn sie hören gar gerne, was dort und da in der Welt vorgeht.

Um Handel zu treiben, schiffen sich dort freilich nicht viele Fremde aus. Denn was sollen sie dort zu Lande importiren, wenn nicht etwa Eisen, Gold und Silber, was aber Jeder nur wieder mit sich fort nehmen müßte?

Was den Ausfuhrhandel aber mit Produkten, die die Utopier zu exportiren haben, anbelangt, so nehmen sie diesen wohlbedachter Weise lieber selbst in die Hand, als daß sie die Fremden danach kommen lassen, erstens um die auswärtigen Volker ringsum kennen zu lernen, und sodann, um als seefahrende Nation sich auf der Höhe zu halten.

Quelle:
Thomas Morus: Utopia. München 1896, S. 89-117.
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